Brauegn

Ein alter Kupferstich, Ansicht von Bergün von Osten. Hinter dem Dorf sind die Berge Rugnux, Ela und Radond zu sehen.
Bergün Mitte 19. Jahrhundert. (Aus «Album der Nord- und Ostschweiz» von Ludwig Rohbock, um 1870 in Basel veröffentlicht.)

Im 17. Jahrhundert war Bergün (im Bergüner Dialekt: Brauegn) ein typisches Bündner Passdorf: Die Bevölkerung lebte von der Landwirtschaft und vom Reise- und Handelsverkehr über den Albula. Familien des Herrenstandes wie die Planta, die Salis, die Buol oder die Beeli von Belfort bemühten sich, ihre Vertreter ins Bergüner Bürgerrecht einzukaufen.

Steinhäuser aus dem 16. Jahrhundert

Bergün war schon im Mittelalter besiedelt. Die Gebäude damals waren aus Holz, mit Ausnahme des Turms, der heute den Dorfplatz prägt. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts begann man, wie im benachbarten Engadin, die Häuser aus Stein zu bauen. Es entstand das sogenannte Engadiner Haus: Wohnhaus, Stall und Scheune vereint unter einem Dach. Fast alle Häuser, die damals in Bergün erbaut wurden, stehen heute noch. Es war daher möglich, für die «Bergünerstein»-Bücher einen Dorfplan zu zeichnen, der die Situation im 17. Jahrhundert wiedergibt.

Ortsplan Bergün um 1600 von Jasenko Zivanov
Ortsplan Bergün um 1600. Federzeichnung von Jasenko Zivanov

Bergün hat die Nase vorn

Als Hauptort der Gerichtsgemeinde Bergün hatte Bergün gegenüber den anderen Nachbarschaften Latsch, Stuls und Filisur die Nase immer vorn. Der alle zwei Jahre gewählte Mastrel (Landammann, Richter) war immer ein Bergüner, die Veltliner Ämter gingen immer an einen Bergüner. Und auch das Recht, im Palpuognasee zu fischen, blieb den Latschern trotz wiederholter Bemühungen vorenthalten.

Beim Bau der Albulabahn anfangs des 20. Jahrhunderts störten die Latscher den Baubetrieb durch das Herabwerfen von Steinen; im 17. Jahrhundert wurde den Stulsern vorgeschrieben, dass sie nur an einem Tag pro Monat Steine von ihren Feldern in den Abgrund werfen durften. Der Steinewerftag musste im Voraus angekündigt werden, und Stuls hatte auf dem Weg, der unterhalb von Stuls verlief, Wachen aufzustellen, die die Reisenden vor der Gefahr warnten.

Das Cudesch da Estims

Bergüner Estim aus den kriegerischen 1620er Jahren mit vielen Streichungen

Das Cudesch da Estims, das Verzeichnis der Steuerlisten, gibt genaue Auskunft über die Anzahl der Steuersubjekte und ihre Vermögensverhältnisse für die Jahre 1562, 1573, 1579, 1583, 1589, 1599, 1609, 1622, 1633, 1644 und 1669. Wir entnehmen dem Cudesch, dass die Nachbarschaft Bergün um 1600 ungefähr 160 Haushalte umfasste, wobei nicht alle Haushalte ein eigenes Haus besessen haben können. Der Besitz der einzelnen Haushalte war breit gestreut: im ersten Estim von 1562 reichte die Spanne von 50 bis 6600 Gulden, auf dem Höhepunkt der Ungleichverteilung 1609 reichte sie von 50 bis 80'000 Gulden. Zum Vergleich: ein Ochse kostete damals 20 Gulden, der Jahreslohn eines Knechtes betrug ebenfalls 20 Gulden. Wiesen und Äcker, die wichtigsten Vermögenswerte, wurden je nach Grösse und Fruchtbarkeit für Summen zwischen 50 und 500 Gulden gehandelt.

In Bergün lebten auch einige Hintersässenfamilien – niedergelassene Einwohner ohne Bürgerrecht. Das Cudesch da Convenziuns im Gemeindearchiv Bergün enthält für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts jährlich eingetragene Listen ihrer (durchwegs walserischen) Namen: diese Nachbarn zweiter Klasse waren gezwungen, jedes Jahr eine Bürgschaft in der Höhe von 100 Kronen für ihr Wohlverhalten zu hinterlegen!

Getreideanbau und Passverkehr

Anders als heute, wo in Bergün die Vieh- und Milchwirtschaft im Zentrum steht, wurden im 17. Jahrhundert auf vielen Äckern Roggen, Gerste, Bohnen und Erbsen angebaut, möglicherweise auch Flachs. Wieviele Kühe die damaligen Bergüner Landwirte besassen, wissen wir nicht. Aber aus Estim-Listen aus dem Engadin geht hervor, dass die durchschnittliche Bauernfamilien zwischen zwei und fünf Kühe besassen. Neben den Kühen wurden Schafe, Ziegen, Schweine und Hühner gehalten, sowie Ochsen als Last- und Zugtiere und – von wohlhabenden Nachbarn – Pferde.

Obwohl keine der grossen Handelsstrassen in den Süden über den Albula verlief, musste der Saumweg über den Pass auch im Winter offen gehalten werden. Entsprechende Abmachungen wurden in grosser Zahl mit den Nachbarn von Chamues-ch getroffen. Ein Hindernis für den Saumverkehr über den Albula war der Bergünerstein, die senkrechte Felswand unterhalb des Dorfes, die die Reisenden zwang, einen Umweg über die Pentsch zu machen und dabei eine beträchtliche Gegensteigung in Kauf zu nehmen. Es ist deshalb leicht verständlich, warum man in Bergün immer wieder Anläufe unternahm, eine möglichst flache Strasse durch den Bergünerstein zu bauen!

 

Literatur

Cloetta, Zon Zanett: Bergün-Bravuogn: Heimatkunde. Thusis, 1954.

Cloetta, Zon Zanett: Igl pled da Brauegn. Brauegn, 2011

Nicolay, Pol Clo; Nicolay, Marco: Vocabulari a mañ digl cuedasch digl Zon Zanett Cloetta. Brauegn, 2013.

Gregori, Giacomo; Guidon, Joos; Schmidt, Robert: Flurnamen der Gemeinde Bergün/Noms rurels dla vischnancha da Brauegn. Teil 1 dt., Teil 2 roman. Bravuogn 2005.

 

Quellen (Auswahl)

Cudesch da Estems, in Privatbesitz, digitalisierte Version online hier.

Kirchenbücher von Bergün (Ehe- und Taufregister): Gemeindearchiv Bergün und Staatsarchiv Graubünden (Mikrofilm).

Cudesch da Convenziuns, Gemeindearchiv Bergün.

«Gerichtsbuch» (Wahlprotokoll) 1642–1708, Gemeindearchiv Bergün

 

Online

Wikipedia-Artikel zum Bergünerstein

Website der fusionierten Gemeinde Bergün-Filisur

Website des Ortsmuseums Bergün